Die Bahnhofsmission ist die einzige Hilfestation in Würzburg,
die 24 Stunden jeden Tag an allen Tagen im Jahr
für jedermann erreichbar ist.
„Willkommen, egal wer du bist, woher du kommst oder welche Hilfe du brauchst!“
Johanna Anken und Michael Lindner-Jung leiten eine besondere Einrichtung in unserer Stadt. Für viele ist sie erste Anlaufstelle in akuter Not, für immer mehr aber auch letzte Zuflucht in Situationen, in denen das Leben einfach überfordert. Über 65.000 Mal haben Menschen im vergangenen Jahr bei der Bahnhofsmission um Hilfe angefragt. Für das laufende Jahr 2025 rechnet die Einrichtung am Hauptbahnhof mit weit über 70.000 Hilfekontakten. Die Not vieler Menschen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Herausforderungen an die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission auch.
Die Bahnhofsmission ist oft der erste Anlaufpunkt für Menschen in Not und Krisen. Welches Bild von Würzburg und seinen Einwohnern sehen Sie in Ihrer täglichen Arbeit und welche Rolle spielt die Bahnhofsmission dabei?
Michael: Wer von außen in die Bahnhofsmission kommt, gewinnt zuallererst den Eindruck, dass es hier recht bunt zugeht. Unterschiedlichste Menschen kommen auf engem Raum zusammen: Leise und laute, mitteilsame und stille, schwermütige und heitere, unausweichliche und schier unsichtbare. Wer verweilt, dem begegnen in der Bahnhofsmission immer wieder Personen, denen etwas fehlt und sei es eine Antwort auf wichtige Fragen. Wer eine Zeit bleibt, trifft Menschen, die Verletzungen mit sich tragen, die fallen ohne greifbaren Halt, die den Zugang zu ihrer Umgebung zu verlieren drohen. Du findest hier auch Besucher, die auf ganz eigene Weise ihren Alltag gestalten und bewältigen, so das „Heft in der Hand behalten“. Fast alle wünschen Aufmerksamkeit für Ihre Belange, menschliche Zuwendung und Ermutigung, die Kraft gibt. Einige fragen nach einer konkreten Antwort. Immer mehr Besucher verlangen materielle Unterstützung z.B. im Sinne einer einfachen Brotzeit.
So gesehen hat die Stadt Würzburg in der Bahnhofsmission einen Zufluchts- und Aufenthaltsort für viele Menschen, die andernorts in der Bürgergesellschaft seit langen oder ganz aktuell keinen Platz finden und nicht wahrgenommen werden.
Es gibt in der Stadt viele soziale Angebote und Einrichtungen. Was ist das Besondere an der Bahnhofsmission?
Johanna: Ganz sicher ist die gute Erreichbarkeit der Hilfe ein besonderes Merkmal der Bahnhofsmission. Verkehrsgünstig am Hauptbahnhof gelegen, steht unsere Einrichtung Tag und Nacht an 365 Tagen im Jahr Menschen in Not zur Verfügung. Sie arbeitet ohne jeden Auslesefilter und steht allen Hilfesuchenden offen, egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher Nation oder Religion in gleich welcher Notsituation. Deshalb nimmt Bahnhofsmission auch sehr früh gesellschaftliche Veränderungen, Not- und Bedarfslagen wahr, nimmt als erste Geflüchtete auf, spürt im Alltag die sich ausbreitende materielle Armut im Gemeinwesen und neuerdings die rasant zunehmende psychische Belastung und Verlorenheit vieler Besucher. Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission kümmern sich ebenso um Reisende, die zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel auf Unterstützung angewiesen sind.
Besonders an der Bahnhofsmission ist nicht zuletzt der akzeptierende Ansatz unserer Sozialarbeit. Wir sind auch dann für unsere Besucher da, wenn sie an ihrem Verhalten und an ihrer Situation aktuell nichts ändern wollen. Menschen ohne Anspruch auf Veränderung zu begegnen, kann dazu beitragen, dass jemand sich annehmen lernt mit allen Unzulänglichkeiten. Unserer Erfahrung nach ist Akzeptanz und Respekt sogar entscheidend dafür, dass sich jemand etwas zutraut, vielleicht auch einen neuen Versuch, einen späteren Neubeginn. Bei allem sollen unsere Besucher merken, dass wir im Bedarfsfall immer und verlässlich da sind.



Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich bei Ihnen. Was motiviert die Helferinnen und Helfer und wie wichtig ist dieses Engagement für die Arbeit der Bahnhofsmission?
Michael: 40 Ehrenamtliche arbeiten derzeit in der Würzburger Bahnhofsmission. Bürgerinnen und Bürger ganz unterschiedlichen Alters, aus ganz unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, Studierende, andernorts Erwerbstätige, Familienfrauen und -männer, Menschen im Rentenalter. Die Beweggründe sind vielfältig. Ein Motiv eint alle: Menschen in unserer Gesellschaft nicht alleine lassen, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Manche Freiwillige erzählen vom eigenen Glück, das Ihnen im Leben widerfahren ist und das sie weitergeben möchten. Viele suchen eine Gemeinschaft, die Möglichkeit in einem Team aktiv zu sein, eine Tätigkeit, die dem eigenen Leben zusätzlich Sinn und Bedeutung gibt. Kürzlich hat mir ein Ehrenamtlicher erzählt, dass er in der Bahnhofsmission neu sehen und verstehen gelernt hat: andere Menschen und das eigene Leben. Tatsächlich begegnen allen, die sich in der Bahnhofsmission engagieren, berührende Geschichten und besondere Personen, die im sonstigen Lebensalltag so gut wie nicht vorkommen. Überraschend auch, wie schnell Menschen in der Begegnung für einem Bedeutung gewinnen können. „Wenn ich jetzt durch die Straßen in Würzburg gehe, erkenne ich so viele wieder, die ich vorher nicht gesehen habe, und wir grüßen uns freundlich“, erzählt eine andere Helferin mit einem Lächeln.
Jeder Tag in der Bahnhofsmission bringt neue Geschichten und Herausforderungen mit sich. Welche Begegnung oder welches Erlebnis ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben und warum?
Johanna: Weil über die Jahre sich so viele beindruckende Geschichten angesammelt haben, bin ich nicht wählerisch und erzähle aus meinem letzten Dienst. Eine Frau, rief bei meinem Bahnhofsrundgang schon von weitem meinen Namen. Ich blieb stehen und sie begann: „Johanna weißt du noch, wer ich bin? Ich war vor einiger Zeit öfter bei euch!“ Und dann kam bei mir die Erinnerung: Die Frau vor mir war früher selbständige Geschäftsfrau, stand mitten im Leben. Sie hatte eine eigene schöne Wohnung und auch zwei Hunde. Dann kamen wirtschaftliche Misserfolge und in der Folge finanzielle Probleme. Sie verlor die Wohnung. Mit den Hunden lebte sie noch einige Zeit im eigenen Auto, bis man auch sie der Frau wegnahm. „Sie waren wie meine Kinder!“, beschrieb sie oft den schmerzlichen Verlust. Danach kam eine Zeit der Wohnungslosigkeit. Die Frau vor mir sieht heute anders aus. Fast glücklich. Zumindest erleichtert: „Johanna, du hast es immer gesagt. Du hast an mich geglaubt, dass ich es am Ende schaffen werde. Schau mich an! Heute stehe ich da, wie du gesagt hast. Ich habe wieder eine Wohnung, eine Beschäftigung und sogar einen Hund. Ich habe zurück ins Leben gefunden!“ Tatsächlich war es mir in den früheren Beratungsgesprächen mit der Frau wichtig, die von ihr geschilderte Not wahrzunehmen und nicht abzutun. Gleichzeitig wollte ich ihr mit einer realistischen Perspektive Zuversicht geben, eine die ehrlich gemeint war. Wie sehr freue ich mich, dass Sie das genauso empfunden hat! Ich konnte es sehen: Sie hat so viel neue Energie!
Wie kann jeder Einzelne von uns die Arbeit der Würzburger Bahnhofsmission unterstützen? Gibt es neben Geldspenden auch andere Wege, sich zu engagieren oder zu helfen?
Michael: Das Hilfeangebot der Bahnhofsmission täglich rund um die Uhr braucht viele Helfer. Insofern freuen wir uns sehr über Menschen, die sich ehrenamtlich bei uns engagieren.
Aktuell wollen wir unser Team verstärken und laden Interessierte herzlich ein, sich ein Bild von einer möglichen Mitarbeit zu machen (Kontakt: ehrenamt@bahnhofsmission-wuerzburg.de, Telefon 0176 – 61 70 34 12).
Natürlich sind wir nach wie vor auf Geldspenden dringend angewiesen. 750.000 Euro kostet die Bahnhofsmission jedes Jahr. Geldspenden helfen nicht nur das Hilfeangebot zu sichern, sondern ermöglichen uns auch, schnell auf akute Notlagen zu reagieren und dort zu investieren (Spendenkonto: IBAN: DE18 7509 0300 0003 0022 41).
Wer dennoch lieber Sachen spenden möchte: Wir benötigen für Menschen, die in den kommenden kalten Wintertage besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind, Winterschlafsäcke (verwendbar bis mind. minus 18 Grad).
Was sind die größten Herausforderungen, denen sich die Bahnhofsmission Würzburg aktuell stellen muss, und welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?
Johanna: Über die Jahre haben sich die großen Notlagen immer wieder verändert: In Zeiten von Corona gerieten Menschen häufig in psychische und seelische Krisen. Mit dem Ukrainekrieg erreichten uns vor allem schutzlose Geflüchtete und vor gut zwei Jahren war die Inflation so angestiegen, dass die Lebenshaltungskosten für viele nicht mehr bezahlbar waren. Heute sind wir mit allen drei Lebenslagen verstärkt konfrontiert. Die Armut unter Bürgerinnen und Bürger nimmt weiter zu. Den stärksten Zuwachs verzeichnen inzwischen jedoch Menschen mit psychischen Erkrankungen. Gleichzeitig gehen die Hilferessourcen zurück. Das soziale Netz wird dünner, die öffentlichen Gelder nehmen ab. Auch weil Hilfegebote verlorengehen, suchen immer mehr Unterstützung bei der Bahnhofsmission, die als niederschwellige Einrichtung immer noch offen für alle ist in gleich welcher Not. Dies im Blick wünschen uns mehr denn je Bürgerinnen und Bürger an der Seite, die sich vom Leid anderer berühren lassen, die solidarisch tätig und selbst Teil der Hilfe werden, damit wir unser Versprechen weiter halten können: „Wir sind da, wenn du uns brauchst.“


